Am 25. Juni 1967 ereignete sich auf der Porzescharte, einem hochalpinen Grenzpass zwischen Osttirol (Österreich) und dem Cadore in der italienischen Provinz Belluno, ein folgenschwerer Sprengstoffanschlag. Vier italienische Soldaten kamen durch Explosionen ums Leben. Die italienische Regierung machte Mitglieder des Befreiungsausschusses Südtirol dafür verantwortlich – eine Organisation, die sich für die Unabhängigkeit Südtirols vom italienischen Staat einsetzte. Die Täter sollen nach offizieller Darstellung über das Obertilliacher Tal von Österreich aus aufgestiegen sein, um auf italienischem Gebiet mehrere Sprengfallen zu legen.
Zentraler Bestandteil der Aktion war die Sprengung des 220KV Strommasts Nr.119 der Hochspannungsleitung Lienz–Pelos. Dieser stand direkt auf der Staatsgrenze und wurde durch eine Sprengung schwer beschädigt. Nur wenige Stunden nach der Detonation betrat ein italienischer Gebirgsjäger (Alpino) das Gelände zur Aufklärung des Vorfalls und trat auf eine Mine – er starb an seinen Verletzungen. Ein nachfolgender Spezialeinheittrupp aus 4 Soldaten, bestehend aus Fallschirmjägern und Entminern, trat ebefalls auf eine Mine. Drei weitere Soldaten starben, ein vierter wurde schwer verletzt.
Der genaue Ablauf ist bis heute nicht vollständig geklärt und äußerst mysteriös. Während Italien die Verantwortung bei Südtiroler Aktivisten sah – namentlich wurden u. a. Peter Kienesberger, Erhard Hartung und Egon Kufner genannt –, zweifeln österreichische Historiker wie Hubert Speckner diese Version an. Laut seinen Recherchen ergeben sich erhebliche Unstimmigkeiten in der zeitlichen Abfolge, der Route sowie im tatsächlichen Geschehensablauf und massive Widersprüche bei der Ausführung der Sprengung des Masten sowie der Explosion der Mine im Karrenweg. Auch wird diskutiert, ob der Vorfall möglicherweise von italienischer Seite bewusst für politische Zwecke instrumentalisiert wurde.
Der Anschlag führte zu einer schweren diplomatischen Krise zwischen Österreich und Italien und gilt als einer der dramatischsten Vorfälle des Südtirol-Konflikts. Außenminister Lujo Tončić-Sorinj sprach damals vom tiefsten Punkt der bilateralen Beziehungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Damit wäre zumindest teilweise beantwortet, warum eine Aufarbeitung des Falls von grossen Interesse ist. Uns jedoch interessieren vor allem die technischen Aspekte, die wissenschaftliche Rekonstruktion der Mastensprengung im Detail.
Herr Prof. Dr. Ing. Harald Hasler MSc MA führte als gerichtliche beeideter Sachverständiger für Explosionswesen, Sprengtechnik, Minen und Forensik, umfangreiche, wissenschaftliche Feldversuche und Experimente sowie genaueste Rekonstroktionen mit verschiedenen Sprengstoffen durch, die in seinem Buch Wissenschaftliche Neubeurteilung der Rechtssache „Porzescharte 25. Juni 1967“ detailliert beschrieben sind (Link siehe unten).
Dabei traten massivste Widersprüche zutage, die deutlich machten, dass das Geschehen kaum so abgelaufen sein konnte, wie es in den Gerichtsakten beschrieben wird. Ein zentraler Punkt: Die angebliche, aktenkundige Sprengung des 220KV Strommasts Nr. 119 mit nur einer Sprengung der 4 Eckpfeiler, angebracht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ohne Licht und unter der ständigen Gefahr erkannt zu werden.
Ein 1:1 Ein Feldversuch mit einer physischen Sprengung eines exakten Nachbaus des Mastens wie vor Ort auf der Porzescharte, wäre absolut unmöglich und hätte das Budget gesprengt – im wahrsten Sinne des Wortes. Unsere Aufgabe war es daher, das Verhalten des Strommasts während und nach einer Sprengung der 4 Eckpfeiler mithilfe der Finite-Elemente-Methode (FEM) realitätsnah zu simulieren und die Auswirkungen darzustellen. Dabei sollte untersucht werden, wie sich die Struktur unter Eigengewicht nach gezielter Zerstörung der 4 einzelnen Eckpfeiler welche die Last tragen, verhält. Die Simulation sollte klären, ob und wie der Mast in Folge von zwei aufeinanderfolgenden Sprengungen versagt, sich verhält und schließlich vollständig am Boden kippt und zum liegen kommt.
Die Untersuchung ergab, dass der Strommast nach der ersten gezielten Sprengung seine strukturelle Integrität zunächst beibehielt. Obwohl Teile der Fachwerkstruktur aufgetrennt wurden, trat durch die Eigenbewegung des Masts rasch ein Kontakt an den Schnittstellen ein, der ein vollständiges Versagen verhinderte. Der Mast führte lediglich schwingende Bewegungen aus, blieb jedoch insgesamt stabil stehen. Die Ausfühung der Mastfüsse mit den Eckpfeilern, der Aufbau des Fachwerkes sowie die Leitungsabspannung spielten hier eine entscheidende Rolle.
Erst durch eine zweite Sprengung kam es zu einem entscheidenden Strukturversagen. Dabei wurde unter anderem der westliche Fuß des Masts vollständig abgetrennt, wodurch keine Druckkräfte mehr aufgenommen werden konnten. In der Folge kippte die gesamte Konstruktion in Richtung Nordwest. Das dabei auftretende Kippmoment überstieg die verbleibende Tragfähigkeit des Masts deutlich, was zu plastischen Verformungen und letztlich zum Kollaps der gesamten Struktur führte.
In einer erweiterten Simulation konnte schließlich auch das vollständige Umkippen des Masts bis zum Boden realitätsnah dargestellt werden. Zuvor auftretende numerische Instabilitäten wurden durch eine feinere Modellierung mit Schalenelementen erfolgreich behoben. Die Ergebnisse der Untersuchung stützen die Annahme, dass ein zweistufiger Sprengvorgang notwendig war, um das vollständige Versagen, das Umfallen des Masts herbeizuführen.
Damit Sie live beim numerischen „Terrorakt“ dabei sein können, haben wir ein begleitendes Video der Simulation eingebunden:
Prof. Hasler kann unsere numerische Simulation als eindeutige Nachweise und Grundlage für seine Gutachten zu dem Sachverhalt heranziehen und die Gutachten darauf aufbauen. Hier zeigt sich, wie wertvoll die Finite-Elemente-Methode (FEM) ist und welche möglichkeiten es gibt.
Nachdem wir nun gegenseitig auf den Geschmack gekommen sind – wir an den Feldversuchen und Prof. Hasler an unseren nummerischen Simulationen –, gehen wir neue Themen gemeinsam an, da es hier viel zu tun gibt. Es wird gerade die Sprengung eines Gebäudes nummerisch sehr aufwendig simuliert. Diese Simulation ist der historische Sprengstoffanschlag aus derselben Zeit, auf der STEINALM am Brenner. Durch die Simulation können sehr wertvolle Erkenntnisse für das Strukturverhalten des Gebäudes und für die Abstimmung von weiteren Feldversuchen mit Dummies und Rekonstruktionsexplosionen, generiert werden. Wenn Experiment und Simulation geschickt interagieren und sich ergänzen, lassen sich viele Varianten deutlich effizienter und sicherer untersuchen als nur durch einen reinen Versuchs-/ oder Simulationsbetrieb. Der Grad der Aussage über die Realität wird deutlich höher und genauer. Im Explosive Engineering ist genau dieses Ansatz heute möglich und damit sehr präzise.
Falls Sie ähnliche Aufgabenstellungen haben – und sei es nicht im Zusammenhang mit Kriminalfällen –, freuen wir uns, von Ihnen zu hören. Auch Feedback zu meinen Blogartikeln ist wie immer willkommen. Wenn Sie aktuelle Themen haben, über die Sie gerne mehr erfahren würden: her damit!
PS: Wenn Sie das komplette Gutachten lesen wollen, können Sie das Buch hier bestellen:
Die Webseite von Prof. Dr. Ing. Harald Hasler ist:
www.harald-hasler.at
Ihr Stefan Merkle
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